Den Schlagbaum an der Grenze herunterlassen und damit die Umweltprobleme in der Schweiz lösen? Dies schlägt Ecopop im einen Teil ihrer Initiative vor, der radikalen Begrenzung der Zuwanderung. In dieser Logik ist das Hauptübel unserer Zeit eine zunehmende Bevölkerungsdichte: Im globalen Süden durch eine unkontrollierte Vermehrung der Bevölkerung, bei uns durch die Zuwanderung. Geografisch wie thematisch ist diese Argumentation sehr beschränkt. Dennoch beansprucht Ecopop für sich, als Einzige das Fähnlein der Wachstumskritik hochzuhalten und in globalen Zusammenhängen zu denken.
Tatsächlich sind die Schweiz und ihre Landschaft nicht einfach Opfer umweltschädigender Praktiken, die ihre Ursache in zu vielen Menschen im Ausland haben. Die Schweiz treibt umweltschädigende Entwicklungen vielmehr entscheidend selber an. Ende 2008 betrugen die Auslandsinvestitionen von Schweizer Firmen über 800 Milliarden Schweizer Franken. Dieses Geld steckt in Fabriken, Minen, Kraftwerken, Finanzinstituten und hat den wenig nachhaltigen Zweck, den Mutterkonzernen möglichst hohe Profite zu sichern. Im Bereich der Ernährung sieht es nicht viel besser aus: Anbau, Verarbeitung und Transport der in der Schweiz konsumierten Lebensmittel verschlingen pro Person und Monat 80 Liter Benzin. Ähnliche Situation beim Reiseverhalten: Zwei von drei Reisen mit mindestens einer Übernachtung führen Herrn und Frau Schweizer ins Ausland, die wenigsten davon mit dem ressourcensparenden ÖV. Der ökologische Fussabdruck der Schweiz ist viermal zu gross.
Die Schweiz ist ein bis ins Mark kapitalistisches, global vernetztes Land, das höchst erfolgreich im Standortwettbewerb mitmischelt. Aus diesem Grund wird die Schweizer Bevölkerung auch in Zu- kunft weiterwachsen, und nicht wegen einer angeblich zu liberalen Migrationspolitik. Zudem wächst die Wirtschaft seit langem viel stärker als die Bevölkerungszahl. Bis heute ist es nicht gelungen, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Und die Früchte dieses Wachs- tums sind sehr ungleich zwischen, aber auch innerhalb der Staaten verteilt. Ecopop will an all dem nichts ändern. Vielmehr liefern die Initianten eine ökologische Rechtfertigung für die Ungleichheit zwischen Menschen, Staaten und «Völkern». Dies, indem Logiken aus der Biologie – etwa die Idee von einem wiederherzustellenden natürlichen Gleichgewicht – 1:1 auf die menschliche Gesellschaft übertragen werden.
Ecopop lässt dafür zentrale Fragen komplett aussen vor: Wie können wir gesellschaftliche Rahmenbedingungen gestalten, die Richtung Suffizienz führen? Wie beteiligen wir die Menschen am ökologisch und sozial notwendigen Umbau der Industriegesellschaft? Wie regeln wir den Um- gang mit Gemeingütern wie Wasser, Luft, Boden und Rohstoffen gerecht und ökologisch nach- haltig? Diese Fragen auszudiskutieren und in konkrete politische Projekte umzusetzen, ist die zentrale Aufgabe der heutigen und künftigen Generationen. Bis dahin können wir im Kleinen daran arbeiten, dass es uns und der Natur trotz zunehmender Bevölkerungsdichte in der Schweiz nicht schlechter geht.
Alle andern Probleme lösen wir am besten durch eine solidarische Zusammenarbeit mit dem Ausland. Die Umweltbewegung ist gefordert, offensiv für Menschenrechte, für Klimagerechtigkeit, für eine sozial verträgliche Ökologie zu kämpfen. Dies aus der Überzeugung der Gleichwertigkeit aller Menschen, aber auch weil ein Übergang in eine grünere Zukunft unter den Vorzeichen eines Systems, das auf Ausbeutung und Ungleichheit beruht, gar nicht gelingen kann.
Pierre-Alain Niklaus Geologe und Sozialarbeiter
Balthasar Glättli Nationalrat
Co-Autoren «Die unheimlichen Ökologen»
Der Artikel ist erschienen cfd-Zeitung 3-2014. » Link